germanische Sprachen

germanische Sprachen
germanische Sprachen,
 
Gruppe der indogermanischen Sprachen. Ihr heutiger Bestand umfasst (einschließlich der jeweiligen früheren Ausprägung) die »nordgermanischen« Sprachen (Schwedisch, Dänisch, Norwegisch, Isländisch, Färöisch) und die »westgermanischen« Sprachen (Englisch, Deutsch, Niederländisch, Friesisch sowie die Neusprachen Jiddisch und Afrikaans). Durch ihre Verbreitung über alle Erdteile stehen sie heute unter den Sprachen der Erde mit an vorderster Stelle.
 
Zu den germanischen Sprachen gehören (neben den noch heute gesprochenen) weitere fragmentarisch überlieferte, inzwischen untergegangene Sprachen, darunter u. a. Gotisch, Burgundisch, Langobardisch und Wandalisch.
 
Von der indogermanischen Grundsprache heben sich die germanischen Sprachen besonders durch folgende Charakteristika ab: 1) die durch die germanische (erste) Lautverschiebung bewirkten Veränderungen; 2) die Betonung der Stammsilbe gegenüber dem im Indogermanischen freien (d. h. auf allen Wortsilben möglicher) Wortakzent; 3) Vereinfachung des grammatischen Systems und Beschränkung auf zwei Tempora (Präsens, Präteritum) beim Verb und Entstehen von - durch Dentalsuffix gebildeten - schwachen Verbformen (z. B. »ich machte« zu »ich mache« gegenüber »ich fand« zu »ich finde«).
 
Im Lauf der historischen Entwicklung der germanischen Sprachen haben sich in Lautform, Wortschatz, Morphologie und Syntax Besonderheiten herausgebildet, sodass bei der heutigen Charakterisierung deutlicher die Unterschiede als die Gemeinsamkeiten hervortreten; so wurde z. B. der Lautbestand des Deutschen infolge der zweiten Lautverschiebung gegenüber dem gemeingermanischen Lautbestand verändert, ebenso die Lautstruktur des Englischen infolge des »great vowel shift«; der Wortschatz des Englischen wurde stark vom Französischen beeinflusst; das Englische und das Afrikaans weisen (z. B. gegenüber dem Deutschen) einen deutlich reduzierten Flexionsbestand auf; ein syntaktisches Merkmal des Deutschen (im Verhältnis zu den übrigen germanischen Sprachen) ist die Satzklammer.
 
Die historisch hervortretenden Stämme und Gruppierungen (Germanen) lassen sich einem sprachlichen Stammbaum nicht ohne weiteres zuordnen. Auf einen Stammvater Mannus und seine drei Söhne werden die Namen von Kultverbänden (Ingwäonen, Istwäonen, Herminonen) zurückgeführt; als Ingwäinismen gelten Ausdrücke der Seefahrt, die in anderen indogermanischen Sprachen keine Entsprechung haben. Die früher vorgenommene Einteilung in Nord-, Ost- und Westgermanen wird fraglich, wenn man sie als eine früh vollzogene Teilung ansieht. Tatsächlich sind jedoch Germanen einerseits süd- und ostwärts gewandert (so im 3. Jahrhundert v. Chr. die Bastarnen, seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. die Goten ans Schwarze Meer), andererseits die Burgunder und Wandalen süd- und westwärts. Im 5. Jahrhundert zogen auch die Goten nach Westen, ein Teil von ihnen hielt sich jedoch auf der Krim (Krimgoten). Der Zusammenhang des »westgermanischen« Bereichs ist durch Wanderungen und Bildung von neuen Stämmen durch Überschichtung entstanden. Die »ostgermanischen« Sprachen sind mit den Krimgoten und der Romanisierung der Ost- und Westgoten ausgestorben. Bei der spärlichen Überlieferung auf den ältesten Runeninschriften (»Urnordisch«) lassen sich nur selten Hinweise auf den verwendeten germanischen Dialekt finden. Als Quellen für eine zusammenhängende »urgermanische« Sprache kommen ferner in Betracht: Lehnwörter im Finnischen in sehr alter Lautgestalt, das bei antiken Historikern und in Inschriften überlieferte Namengut, später auch Lehnwörter in den romanischen und in den slawischen Nachbarsprachen. Erst durch die gotische Bibelübersetzung des Wulfila (4. Jahrhundert) lassen sich Besonderheiten einer »ostgermanischen« Sprache in ihrer Gesamtheit überblicken.
 
 
A. Fick: Vergleichendes Wb. der indogerman. Sprachen, Tl. 3: Wortschatz der german. Spracheinheit (41909);
 B. Delbrück: German. Syntax, 5 Bde. (1910-19);
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 A. Stender-Petersen: Slawisch-german. Lehnwortkunde (a. d. Schwed., Göteborg 1927, Nachdr. 1974);
 G. Neckel: Germanen u. Kelten (1929);
 H. Hirt: Hb. des Urgermanischen, 3 Bde. (1931-34);
 B. Collinder: Die urgerman. Lehnwörter im Finnischen, 2 Bde. (Uppsala 1932-41);
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 Die Erforschung der indogerman. Sprachen, Abt. 2, Bd. 2: W. Streitberg u. a.: Germanisch (1936);
 E. Prokosch: A comparative Germanic grammar (Philadelphia, Pa., 1939);
 T. Frings: Die Stellung der Niederlande im Aufbau des Germanischen (1944);
 P. J. A. Meillet: Caractères généraux des langues germaniques (Paris 71949);
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 R. Hachmann: Die Goten u. Skandinavien (1970);
 
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 C. S. Stang: Lexikal. Sonderübereinstimmungen zw. dem Slawischen, Baltischen u. Germanischen (Oslo 1971);
 
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 P. Ramat: Einf. in das Germanische (1981);
 T. Hofstra: Ostseefinnisch u. Germanisch (Diss. Groningen 1985);
 
Germanenprobleme in heutiger Sicht, hg. v. H. Beck (1986);
 
German. Rest- u. Trümmersprachen, hg. v. H. Beck (1989).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Germanen: Unterwegs zu höherer Zivilisation
 

Universal-Lexikon. 2012.

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